UNSERE LEHRE IN DER OBERSTUFE

… denn sie suchen Orientierung. Das gilt im besonderen Maße für den Beginn der Schulzeit. Die Waldorfschule möchte den Kindern Zeit geben, solche verlässlichen Bindungen aufzubauen. Lernfreude, innere Sicherheit und Wertorientierung können darauf aufbauen. So ist es der Klassenlehrer, der das Kind am ersten Schultag empfängt, der es in der Regel über acht Jahre täglich begleitet und schlussendlich, von dem es sich am Ende der Klassenlehrerzeit allmählich löst und so zur ersten Stufe der Selbständigkeit findet.

Der Klassenlehrer sorgt für die Entwicklung des einzelnen Kindes, hält Kontakt zu den Eltern und koordiniert die Arbeit der Fachlehrer,  welche die Fächer Musik, Eurythmie, Handarbeit, Werken, Turnen, Religion und Fremdsprachen unterrichten. Er unterrichtet die sogenannten Kernfächer (Lesen, Schreiben, Rechnen, Naturkunde, Geografie und Geschichte) täglich jeden Morgen in Epochen. Künstlerische Gestaltung des Klassenraumes, des Tages- und Jahreslaufes sowie der Feste stehen unter seiner Obhut.

Ziel ist, dass er mit den Kindern mitwächst und sich auf deren wandelnde Entwicklungsbedingungen einstellt. Deshalb muss der Lehrer selbst ein Lernender sein. Dieser Aspekt hat Vorrang vor der Kompetenz eines spezialisierten Fachlehrers. Im besonderen Maße muss er seine Sprache und sein Empfinden den positiven Aspekten der Welt zuwenden, ohne dabei Negatives zu vermeiden. Das Kind soll mit seiner Hilfe und durch sein Vorbild die Welt kennen, erkennen und lieben lernen.

PRAKTIKA

„Was braucht das einzelne Kind, um sich in der gegenwärtigen Welt körperlich, seelisch und geistig gesund entwickeln zu können?“

Diese Frage stand  dem ersten Schulkonzept des Fördervereins einer Freien Waldorfschule im Münchner Süden voran. Sie stellt den Gesichtspunkt der Salutogenese in den Mittelpunkt der Erziehung und kann im Blick auf die Oberstufe mit ihrem Weltaspekt ergänzt werden:

„Was braucht die gegenwärtige Welt um sich körperlich, seelisch und geistig gesund entwickeln zu können?“

Globalisierung ist heute kein Schlagwort mehr, sondern sie beschreibt sehr exakt einen Prozess, der alle Lebensgebiete unserer Gesellschaft betrifft und der von den Schülern in seiner Komplexität begriffen werden möchte. Die Jugendlichen wollen mit großer Selbstverständlichkeit ein Bewusstsein der ganzen Menschheit und der Erde erwerben. Dann können sie sich in einem freien Entschluss derjenigen individuellen Gestaltungsaufgabe zuwenden, die sie im Blick auf die so notwendige Gesundung der Erde und der Menschen ergreifen wollen.

Ihnen die Werkzeuge zu diesem Begreifen in die Hände zu geben ist Aufgabe eines Oberstufenunterrichts, der den inneren Fragen der Jugendlichen gerecht werden möchte.

Erste konkrete Schritte auf dem Weg zu einem Verstehen und Gestalten der Welt sind die Berufspraktika, die den eng begrenzten Lernraum Schule in das Lernfeld des Lebens hinein erweitern. Jeder Kollege der Oberstufe steht in seinem Fach vor der Aufgabe, in die Welt hinauszugehen und wo dies nicht möglich ist, die Welt ins Klassenzimmer herein zu holen. Nur so kann ein Lernen entstehen welches begeistert, weil es versucht, Fragen zu entwickeln.

PÄDAGOGISCHE ASPEKTE

In der neunten Klasse setzen sich die Schüler im Rahmen eines Handwerkspraktikums mit dem Arbeitsalltags außerhalb des schulischen Lebens auseinander. Dabei wird der Schwerpunkt  im Bereich der Meisterberufe gesetzt.

Bei einem Berufspraktikum in einem Meisterbetrieb steht die Begegnung mit dem „Meister“ im Vordergrund. Es dient dem aufkeimenden Weltinteresse, dem Interesse an Biografien, dem Wunsch nach Vorbildern. Ideale, die zu Boden gebracht werden konnten, Hürden, die überwunden werden konnten… Hier lernen die Schüler, dass es konstruktive Lösungen für anstehende Probleme gibt und dass sie gefunden werden können durch Hingabe an die Sache, Arbeit und Phantasie.

In der zehnten Klasse Im Landwirtschaftspraktikum befassen sich die Schüler im Landwirtschaftspraktikum mit der Urproduktion, mit der Pflege der Landschaft und der Erde. Sie erhalten einen weiteren Einblick in das Arbeitsleben und beschäftigen sich mit Fragestellungen aus den Bereichen Ernährung und Wirtschaft. Der Schüler soll den Hof als Organismus erleben können. Daher eignen sich für die Praktika ganz besonders die biologischen, biologisch-dynamischen oder integrativ arbeitenden Betriebe.

Durch das Feldmesspraktikum erhält der Schüler die Möglichkeit, sich komplizierte Zusammenhänge handelnd anzueignen. Sorgfalt, Geduld, kritische Selbsteinschätzung, Genauigkeit sind gefragt, beim Messen wie beim Zeichnen. Im Feldmesspraktikum lernt der Schüler die exakte Herstellung einer Landkarte.  Die Erde wird messtechnisch erfasst.

In der elften Klasse steht der soziale Aspekt im Vordergrund. Im Sozialpraktikum kann der Schüler die in früheren Praktika erworbenen Fähigkeiten im mitmenschlichen Zusammenhang erproben: Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein und situationsgerechtes Handeln. Ungewohnte Situationen fordern  soziale Phantasie. Wachheit und Achtsamkeit sind auch im Umgang mit Menschen gefordert. Die eigenen Interessen müssen zurückgestellt werden, zum Dienen braucht es Mut. Dieses Praktikum muss besonders sorgsam begleitet werden, Grenzerlebnisse und Hilflosigkeit angesichts menschlicher Not müssen gemeinsam verarbeitet werden. Die Erlebnisse tragen wesentlich zur sozialen Reife des Schülers bei. Die Erde wird liebend erfasst

Das Kunstpraktikum bzw. die Kunstfahrt schließt den Bogen in der zwölften Klasse ab. Das, was im Kunstunterricht erarbeitet worden ist, kann jetzt vor Ort erlebt und, sofern auch  praktisch gearbeitet wird, gelebt werden.